Mein Kind hat eine Legasthenie. Oft eine Nachricht, die vielen Eltern Sorgen bereitet und nach Tipps suchen lässt; sind es doch bereits mindestens 5 Prozent aller Kinder eines Jahrgangs, die keine ausreichende Rechtschreibkompetenz entwickeln. Zuerst einmal ist es hilfreich, die Teilleistungsschwäche richtig zu diagnostizieren. Sie kann häufig in Kombination mit Hyperaktivität, Dyspraxie oder Dyskalkulie auftreten. So kann man möglichst eindeutige Rückschlüsse auf die Ursachen von Legasthenie beim Kind ziehen. Wichtig ist zudem, Legasthenie nicht mit einer Leserechtschreibschwäche (LRS) gleichzusetzen. Denn die Legasthenie ist oftmals genetisch bedingt und verändert sich im Laufe des Lebens auch meist nicht mehr zum Besseren, während die LRS kann oft behandelt werden.
Neurowissenschaftliche Erkenntnisse
Die Ursachen von Legasthenie sind noch nicht zu 100 Prozent erforscht. Allerdings weiß man bereits, dass ein gewisser Anteil genetisch vererbt wird. Zudem haben dyslektische Leser ein Defizit in der Verarbeitung phonologischer Aspekte, also dem Verstehen von oraler Sprache. Das bedeutet, dass oft Schwierigkeiten auftreten, Sprache in ihre Bestandteile zu zerlegen: Ist ein „s“ in Sonne? Dopplungen oder Dehnungen in einem Wort können folglich gar nicht berücksichtigt werden. Und bereits im Kindergarten können Probleme beim Reimen oder Silbenklatschen erkennbar sein, die auf Defizite des phonologischen Bewusstsein hinweisen.
Kreativität im Fokus
Menschen mit Legasthenie verlassen sich mehr auf ihre rechte Gehirnhälfte: es ist das Zentrum des ganzheitlichen Denkens, der Kreativität, der Intuition, der Musik und der Kunst. Weniger auf die linke, wo analytisches Denken, Sprache, Wissenschaft, Logik und Mathematik angesiedelt sind. So erfinden betroffene Kinder oft „Privatregeln“ für ihre Verschriftung. Zum Beispiel schreiben einige Kinder sogar absichtlich unleserlich, um Rechtschreibfehler zu vertuschen. Außerdem zeigen sich Probleme bei der Verarbeitung kurzer akustischer Reize. Zum Beispiel die Unterscheidung zwischen „da“ und „ta“. Dies lässt vermuten, dass die einzelnen Bereiche der linken Gehirnhälfte nicht so gut vernetzt sind. Beim Lesen eines Textes werden einige Bereiche unregelmäßig mal stärker und mal schwächer aktiviert, als bei Nicht-Legasthenikern. Es gibt weitere Ansätze wie die Aufmerksamkeitsdefizithypothese, die die Ursache für Legasthenie erklären möchten. Es gibt aber viel zu tun, zumal Legasthenie noch bis in die 70er Jahre auf Unterrichtsfehler und psychische Krankheiten des Kindes zurückgeführt wurde.
Therapiemöglichkeiten
Legasthenie sollte so früh wie möglich erkannt werden. Betroffene Kinder, die schon im Kindergarten oder in der ersten Klasse zusätzliche Hilfe erhalten, verbessern ihre Lesefähigkeiten oft so weit, dass sie in der Grundschule und in der weiterführenden Schule erfolgreicher sind. Kinder, die erst in späteren Klassenstufen Hilfe erhalten, haben möglicherweise größere Schwierigkeiten, die für das gute Lesen erforderlichen Fähigkeiten zu erlernen. Wie wir erwähnt haben ist eine korrekte Diagnose ratsam, um dem Kind bei der Wahl der Therapie gerecht zu werden. Neurobiologisch fundierte Therapieansätze machen sich die Plastizität des Gehirns zunutze. Die meisten Ansätze befinden sich allerdings noch in ihren Anfängen. Hier zwei Beispiele:
Augenverdeckung
Wissenschaftler gehen davon aus, dass bei einer Legasthenie beide Augen nicht gut zusammenarbeiten. In einer Studie zeigten Kinder Verbesserungen ihrer Leseleistungen, wenn ein Auge für etwa drei Monate mit einer Augenklappe verdeckt ist.
Phonologisches Bewusstsein stärken
Fachleute können einem Kind mit Legasthenie beibringen, Wortlaute zu erkennen. Sie können auch die Phonetik lehren – das Verbinden von Buchstaben mit Lauten, das Zerlegen von Wörtern in Laute und das Zusammensetzen von Lauten zu Wörtern. Dank dieser Fähigkeiten können Kinder Wörter, die sie nicht kennen, entziffern. Dieser Prozess wird als Dekodierung bezeichnet und ist das Herzstück des Lesens.
Was sie als Eltern tun können
- Lesen Sie Ihrem Kind laut vor oder hören Sie gemeinsam Hörspiele.
- Arbeiten Sie mit der Schule Ihres Kindes zusammen. Sprechen Sie mit den Lehrern Ihres Kindes darüber, wie die Schule ihm zum Erfolg
verhelfen kann. Sie sind der beste Fürsprecher Ihres Kindes. Das bedeutet auch bei Bedarf, einen Antrag zum Nachteilsausgleich zu stellen. Damit erhält Ihr Kind nicht nur mehr Zeit bei einer Klassenarbeit; Rechtschreibfehler werden zusätzlich bedingt bis gar nicht gewertet und mündliche Leistungen werden stärker gewichtet, als schriftliche. - Fördern Sie die Lesezeit. Um die Lesefähigkeit zu verbessern, muss ein Kind das Lesen üben. Ermuntern Sie Ihr Kind zum Lesen.
- Schließlich sollte auch die richtige professionelle Unterstützung geboten werden, wie Nachhilfelehrer, Lesespezialisten sowie Psychologen. Häufig leiden Kinder mit einer LRS auch an psychosozialen Belastungen und Lernschwierigkeiten, die als Folge der ständigen Misserfolgserfahrungen in schulischen Situationen aufgefasst werden können.
Nur Mut! Betrachten Sie es doch als Chance und Möglichkeit, dass Ihr Kind schlichtweg anders lernt: Persönlichkeiten wie Bill Gates, Walt Disney und Albert Einstein waren ebenfalls von Legasthenie betroffen. Dadurch haben sie sich nicht aufhalten lassen – im Gegenteil! Einstein fasste zusammen:
„Phantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt“
Einen Kommentar hinterlassen