Viel höre ich zurzeit über die Vorteile von Online-Unterricht: er sei viel günstiger, die Kinder müssten das Haus nicht verlassen und durch Matching-Algorithmen sei eine hohe Unterrichts-Qualität gewährleistet.

Ich muss sagen, ich bin da nicht vollkommen unvoreingenommen. Mein Nachhilfeinstitut Heurekaaa in München ist auf einen motivierenden Präsenzunterricht ausgerichtet und ich liebe die Arbeit vor Ort bei den Kindern. Aber ich muss den zahlreichen Anbietern von Online-Nachhilfe, die in der Pandemie aus dem Boden geschossen sind, schon ein Kompliment machen. Denn die Webseiten sehen toll aus und die Versprechen klingen wirklich großartig.

Die Versprechen der Anbieter von Online-Nachhilfe

So bietet das charmante Startup cleverly aus Berlin einen Mentor zusätzlich zum Lehrer an, der die Schüler motivieren soll. Der online-Unterricht schule dazu die Medienkompetenz des Schüler oder der Schülerin. Auch sei der Unterricht obendrein persönlich.

Andere online-Anbieter, wie die gostudent aus Wien gehen noch weiter. Dieses Startup preist seinen Service mit einer Erfolgsquote von 96 % an.

Tutorspace aus Ludwigshafen legt seinen Fokus auf die Qualität seiner Lehrkräfte. Das Startup, an welchem sich vor kurzem eine staatliche Bank beteiligt hat, verspricht unter anderem die Prüfung des polizeilichen Führungszeugnisses, fachliche Tests der Lehrer und strukturierte Bewerbungsgespräche bei ihrem Premium-Angebot.

Beim Lesen all dieser grandiosen Versprechen frage ich mich oft, wozu es überhaupt noch Präsenzunterricht braucht? Reicht es nicht, wenn alle Schüler mit schlechten Noten zu gostudent gehen? 96 Prozent aller Schüler werden dort wohl „Erfolg“ haben, was auch immer das bedeutet.

Mehr Schein als Sein?

Wie die aufmerksame Leserin oder der aufmerksame Leser vielleicht erkannt haben wird, ist es so einfach nicht.

Denn wie genau bemisst sich denn dieser Erfolg, von dem bei gostudent geredet wird? Das Halten einer Note? Die Verbesserung um eine, zwei oder drei Noten? Gostudent verrät es leider nicht.

Bei tutorspace gelten die Prüfungsmechanismen, wie das polizeiliche Führungszeugnis, ausschließlich für Tutoren von tutorspace Premium. Bei der tutorspace Vergleichsplattform können sich Lehrwilligen laut Website „in wenigen einfachen Schritten“ in ein paar Minuten kostenlos registrieren und den Preis von online-Unterricht selbst bestimmen. Dort werden die Lehrkräfte im Gegensatz zum Premium-Angebot überhaupt nicht geprüft, den Eltern bleibt eine Einschätzung selbst überlassen.

Zuletzt cleverly aus Berlin. Dieses Startup bietet „mehr als nur bessere Noten“. Mit einem Mentor an der Seite eines Schülers, der diesen motiviert und fördert. Doch bleibt es nicht für den Mentor bei dieser Aufgabe. Er oder sie – immer ein ausgebildeter Pädagoge – hilft auch bei der Lehrersuche, organisiert die Nachhilfestunden und -inhalte und berät bei Lern- und Motivationsschwächen. Eine doch recht diverse und aufreibende Tätigkeit, bei der abzuwarten bleibt, ob sie zufriedenstellend von einer Person erledigt werden kann. Cleverly wirbt damit, dass 96 % aller Kunden mit ihrem Lehrer sehr zufrieden sind. Auch hier die Frage: was heißt das konkret?

Die Preise beim online-Unterricht

Viele Anbieter werben auch mit der Fahrtkosten- und Zeitersparnis ihres Angebots, denn Lehrer und Schüler müssen sich nur wenige Meter vom Sofa zu ihrem Laptop begeben. Heißt das nun, dass diese Kostenersparnis auch beim Kunden ankommt, sprich: die Preise deutlich niedriger sind als beim Unterricht vor Ort?

Cleverly wirbt mit einem Preis von 17,50 €. Die Einheit ist unklar: pro 45 Minuten, pro 60 Minuten? Man weiß es nicht. Die AGB verraten dem interessierten Kunden, dass es die Möglichkeit von 6 und 12 Monatsabos gibt. Aber auch einzeln buchbare Stunden. Die definitiven Preise gibt’s allerdings erst beim Gespräch mit dem Vertrieb *Zwinkersmiley*

Bei tutorspace Premium gibt es die Wahlmöglichkeit zwischen Einzelstunden und Abos. Tutorspace macht das fair und bietet von 1- bis 12-Monatsabos alles an. Bei den Preisen wird’s dann endlich konkret: beim „meistgekauften“ Plan (2 x 60 Minuten je Woche) müssen die Kunden beispielsweise 207,60 € im Monat bezahlen. Das macht in 6 Monaten insgesamt 1245,60 €. Pro 60 Minuten werden 25,95 € berechnet. Unklar bleibt hier, wie viele Tutoren bei tutorspace Premium zur Verfügung stehen.

Der selbstausgerufene Platzhirsch gostudent („Die #1 Nachhilfeschule der Welt“) berechnet je Einheit (=50 Minuten). Die Preise bewegen sich je nach Dauer und Intensität zwischen 17,50 € – 26,90 €. Gerechnet auf eine Dauer von 6 Monaten bei 2 Terminen je Woche kommt man auf eine Spanne zwischen ca. 840 € – 1290 €. Allerdings dauert hier die Einheit lediglich 50 Minuten statt 60.

Preisvergleich mit vor-Ort-Instituten

Für die 60 Minuten Einheit bezahlt der Kunde am Ende im oben gewählten Paket bei tutorspace 25,95 €, bei gostudent 21 € – 32 €. Nun kann man bei beiden Instituten einen Preis von durchschnittlich ca. 26 € je 60 Minuten annehmen.

Zum Vergleich: bei Nachhilfe-Instituten, die Lehrer für Einzelunterricht zum Schüler nach Hause schicken und viele andere zusätzliche Nutzen anbieten, wie beispielsweise Heurekaaa, werden um die 33 € je 60 Minuten berechnet. Abacus liegt bei ca. 37 € laut Angaben in diversen Foren wie proven expert.

Der Preis liegt also leicht höher bei vor Ort Instituten, der persönliche Kontakt und das vielfältige Motivationstraining, haben hier jedoch einen echten Mehrwert. Der Schüler hat neben dem Wissenstransfer auch eine soziale Erfahrung mit dem Lehrer. Außerdem gehören bei Heurekaaa in München Bewegegungsübungen oder Konzentrationsübungen zum Unterricht, die den Schüler in einer anderen Art zusätzlich aktivieren. Und es kommt einfach Abwechslung in den Alltag des Kindes, da sich ohnehin schon ein großer Teil des sozialen Lebens innerhalb des virtuellen Raums abspielt.

Fazit

Die Versprechen der Anbieter von online-Unterricht sind also groß, bei genauerem Hinsehen bröckelt das Bild der perfekten Nachhilfe jedoch.

Die Qualität der Lehrkräfte ist wie bei tutorspace nur bei einem bestimmten Anteil der vermittelten Lehrer überprüft. Denn neben tutorspace Premium betreibt das Unternehmen auch eine Vergleichsplattform, bei der keine Überprüfung seitens tutorspace vorgenommen wird. Qualitätsversprechen wie eine Erfolgsrate von 96 % bei gostudent werden nicht mit Daten hinterlegt oder näher erklärt. Sie sind daher wenig mehr als ein Marketing-Claim. Oft sind auch die Preise wie bei cleverly nicht sofort ersichtlich oder ganz versteckt.

Die Preise der Institute für online-Unterricht bewegen sich fast schon in den Kreisen der etablierten Institute, die einen Lehrer zum Kind nach Hause schicken: zahlt man in unserem Beispiel bei einem klassischen „vor Ort“ Institut zwischen 33 € und 37 € je 60 Minuten, liegt dieser Preis bei den digitalen Anbietern auch schon bei 26 € und 32 €. Kunden können also bei einem Anbieter für online-Unterricht preiswertere Nachhilfe erhalten als bei klassischen Instituten. Die Vorteile des klassischen Präsenzunterrichts können dabei jedoch nicht gewährleistet werden.

Insgesamt gibt es aber große Unsicherheiten in der Landschaft der online-Anbieter von Nachhilfe: unklare und relativ hohe Preise, intransparente Lehrerauswahl und zweifelhafte Qualitätsversprechen.

Das Marketing ist allerdings jetzt schon von bester Qualität!